Gemeinschaft

Gemeinschaft ist ein sehr allgemeiner Begriff. Von Liebespartnern bis zu den Bewohnern eines Staatsgebietes oder Kunden einer Versicherung.

Der Begriff der Gruppe kann etwas konkreter verstanden werden, d.h. Kreise von Menschen, die sich kennen, emotional miteinander verbunden sind und regelmäßig sehen. Gruppen haben idealer Weise gemeinsame Vorhaben und einen Selbstbezug. Die Kleingruppenforschung sagt, dass 8 bis 15 Menschen eine Größenordnung sind, in der das gut gelingen kann, ohne Untergruppen zu bilden.

Die Sangha möchte Gruppen fördern, die sich regelmäßig zu spiritueller Praxis treffen. Wohn- oder Lebensgemeinschaften können dazu gehören, es geht hier aber um Menschen, die sich frei treffen.

In unserer individualisierten Gesellschaft gibt es teilweise starke Gemeinschaftsbedürfnisse. Intensive Gemeinschaft braucht aber persönliche Fähigkeiten, die erlernt werden. Je klarer die äußere Struktur, desto weniger persönliche Fähigkeiten werden gebraucht. Umgekehrt gilt, je mehr Teamfähigkeit, Selbstreflexion, Kommunikationsbereitschaft, Eigenverantwortung usw. bei den Mitgliedern vorhanden ist, desto weniger Struktur und Regeln werden gebraucht. Eine gute Gruppe fällt dadurch auf, dass die Leitung nicht auffällt. Für die Sangha soll immer wieder reflektiert werden, wie viel Struktur und wie viel Offenheit das Wachstum des Einzelnen und der Gruppe fördert.

Für Einzelne förderlich ist:

    • Die Verantwortung für die eigenen Gefühle übernehmen
    • Mitgefühl für Andere zeigen
    • Eigene Bedürfnisse wahrnehmen und Kommunizieren
    • Rücksicht auf andere Gefühle und Bedürfnisse nehmen
    • Win-Win-Lösungen zu suchen
    • Selbstwahrnehmung und Fremdwahrnehmung zusammen zu bringen

Kriterien für eine gute Gruppe sind:

    • Eine gute Mischung aus Sachorientierung und Beziehungsorientierung
    • Bewusstsein für die verletzlichkeit des sozialen Geflechtes
    • Integrationsfähigkeit für Neue
    • Reflektierte Außenkontakte und Pflege eines Freundeskreises
    • Abgrenzen ohne auszugrenzen
    • Solidarität
    • Weltoffenheit
    • Reflektierte Identifikationsmöglichkeiten

Gemeinschaftsbedürfnisse, die eher die fehlende Geborgenheit einer Eltern-Kind-Beziehung ausgleichen sollen, können Laien-Gruppen belasten. Soweit mit dem Gemeinschaftsbedürfniss der Wunsch verbunden ist, Verantwortung für das eigene Leben ein Stück abzugeben (was als Wunsch durchaus legitim sein kann), sollte auf der Gegenseite eine reflektierte Bereitschaft vorhanden sein, Verantwortung für andere ein Stück zu übernehmen (was die Gefahr von Machtkonzentration beinhaltet). Im Kontext spiritueller Gruppen (jeder Konfession) taucht dieses Problem häufig auf. Bewährte und ritualisierte Strukturen können diese Probleme etwas entschärfen. Im Tantra übliche individuelle Lehrer-Schüler-Verhältnisse erfordern viel persönliche Verantwortung, vor allem, wenn auch noch sexuelle Themen ins Spiel kommen.

Regeln können Sicherheit suggerieren. Regeln können starr, oder als Empfehlung interpretiert werden. Regelverstöße und Grenzüberschreitungen sollten reflektiert sein. Grenzen bieten Orientierung, sind aber Illusion. Grenzüberschreitungen machen diese Illusion deutlich. Woran sollen wir uns dann orientieren? Am Göttlichen! Und am gesunden Menschenverstand und Mitgefühl.

Grenzen können behindern oder schützen. Welche Grenzen wir setzen ist in freier Vereinbarung* zu klären. Wenn wir uns dauerhaft nicht einigen können, gehören wir zu verschiedenen Gemeinschaften. Niemand möchte „Grenzverletzungen“ hin nehmen, d.h. dass andere in „meinen Bereich“ ihre Regeln installieren, ohne meine freiwillige Zustimmung.

Der Wunsch nach Zugehörigkeit gehört zu den Grundbedürfnissen des Menschen. Menschen werden oft schön und friedlich, wenn sie ihren „Platz“ gefunden haben. Eine plurale Gesellschaft mit vielfältigen Gruppen kommt dem entgegen. Tantra ist eine Möglichkeit, eine Gruppe zu finden, bzw. innerhalb der Sangha eine Gruppe zu finden oder zu deiner eigenen Gruppe einzuladen.

Führen und Folgen sind zwei Seiten einer Medaille. „Wer führen will, muss folgen lernen“. Merkmal guter Gruppen ist, dass Führung nicht auffällt. Die Sangha will Schutzräume aufbauen, wo es möglich ist, sich einfach hin zu geben und sicher aufgehoben zu fühlen. Gleichzeitig fördern wir systematisch die Fähigkeit, Verantwortung „für alle“ zu übernehmen. Teilnehmer:innen werden unterstützt, ihr größtmögliches Potential zu entwickeln. Institutionelle Machtstrukturen sollen minimiert und demokratisch organisiert werden.

Wo möglich sollen Entscheidungsstrukturen offen bleiben und mit persönlicher zwischenmenschlicher Verantwortlichkeit verbunden. In Anerkennung der Tatsache, dass freie Gruppen auf Sympathie und Antipathie beruhen (was für staatliche Zwangsstrukturen nicht gelten kann) soll gar nicht erst der Versuch gemacht werden, persönlich schmerzhafte Entscheidungen durch anonymisierte Struktur zu ersetzen. Menschen, die machen wollen, sind gefordert für ihr Vorhaben Überzeugungsarbeit zu leisten. Menschen, die auf „Macht“ trotzig allergisch reagieren, sind gefordert, sich in Hingabe zu üben und das Göttliche im anderen zu sehen.

Liebe und Sexualität sind Kernbereiche des Lebens.  In der europäischen Geschichte der letzten 200 Jahre wurden diese vielfach neurotisch verstümmelt, wärend die ganze Welt mit Krieg und Terror, und Ausbeutung von Menschen und Umwelt überzogen wurde. Unsere Elterngenerationen sind noch vielfach mit lebensfeindlichen Glaubenssätzen und Ideologien aufgewachsen. Da ist viel Heilungsarbeit zu leisten und das indische Tantra hat diesbezüglich einiges zu bieten.
Liebe, praktisch gesprochen „Fürsorge“, also die Handlungen zur Befriedigung von Bedürfnissen, bezieht sich immer auf Mehrere und dich selbst. Christen sollen Gott lieben, den Partner, Kinder und sogar Feinde; so gesehen ist Polyamorie (Mehrfachliebe) Standard.
Sexualität ist hingegen eine starke Urkraft, die gute Regeln braucht. Im Christentum und vielen Weltanschauungen sind diese Regeln vor allem Restriktiv, um diese Kraft überhaupt in den Griff zu bekommen. Sexualität ist auch Lebensfreude und ein Zugang zu transzendenten Erlebnissen. Im Tantra gibt es das Bild des Tiegers für diese Kraft, und die Aufforderung, den Tieger reiten zu lernen. Das sind hohe Ansprüche.
Tantra kann auch als Sex-Positive Richtung der verschiedenen umgebenden Weltanschauungen gesehen werden. Wir können Sexualität nicht privatisieren. Sexualität ist Kultur und wird gelernt, braucht einen reflektierten Umgang und gute Kommunikation. In der Sangha wird sexuelle Autonomie und Transparenz gefördert.

Heilung? Auf dem Wege der Selbstverwirklichung brauchen wir Selbsterfahrung. Viele brauchen dafür therapeutische Unterstützung, aber vieles geht auch in guten Gruppen. Nur müssen wir unsere Schatten und Traumata heilen wollen. Wir können die Stelle in uns wieder lieben, die sich verletzt vor Schmerzen verschlossen hat. Das ist oft unangenehm, aber es ist der einzige mir bekannte Weg zu unserem größtmöglichen Potential. Achtsame Schutzräume und hohe Motivation durch lebendige, lebensfrohe Kultur unterstützen individuelle und kollektive Heilung.

Über Gemeinschaft und Gruppe gäbe es noch viel zu erfahren, aber das würde den Rahmen dieser Seite sprengen.

Weiterlesen über Tantra

*) Siehe Peter Kropotkin, Freie Vereinbarung